Bayreuth Modellregion eines Forschungsprojekts – Stadtwerke sorgen für Datenbasis
Wie sieht das Energiesystem der Zukunft auf regionaler Ebene aus? Welche Rolle spielt Wasserstoff darin? Und wie müssen sich die Stromnetze ändern, wenn tausende E-Autos gleichzeitig laden? Antworten auf diese und viele weitere Fragen soll ein vom Bundeswirtschaftsministerium mit 1,85 Millionen Euro gefördertes Forschungsprojekt liefern. Modellregion wird Bayreuth – die Stadtwerke Bayreuth sorgen für die umfassende Datenbasis. Die Ergebnisse sollen auf zahlreiche Regionen Deutschlands übertragbar sein.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war klar: Strom stammt aus großen Kohle- oder Atomkraftwerken und macht unsere Häuser hell, Öl oder Gas machen sie warm und Autos fahren mit Benzin oder Diesel. Die Aufgaben der verschiedenen Energieträger waren deutlich umrissen. Heute ist die Welt eine andere. Wir gewinnen immer mehr Strom aus Wind und Sonne – mit Folgen für unser Energiesystem: Strombetriebene Wärmepumpen heizen Häuser und immer mehr E-Autos sind auf den Straßen unterwegs. Jürgen Bayer, Geschäftsführer der Stadtwerke Bayreuth, sieht Deutschland auf einem guten Weg. „Wir senken unseren Energiebedarf und ersetzen fossile Energieträger durch regenerative. Wir dürfen es aber nicht dabei belassen, möglichst viel grünen Strom zu produzieren und damit E-Autos zu laden. Das würde viel Potential verschenken.“
Komplexes Energiesystem
Wollen wir unsere Klimaziele erreichen, muss das Energiesystem laut Jürgen Bayer ganzheitlich betrachtet werden. „Der Stromsektor hat bei der Energiewende bislang klar die erste Geige gespielt. Wir müssen aber aus den Sektoren Elektrizität, Verkehr, Gas und Wärme ein funktionierendes Orchester machen.“ Dabei den richtigen Takt zu finden, ist alles andere als leicht, weil das Energiesystem sehr komplex geworden ist. Eine der größten Herausforderungen: Regenerativ erzeugter Strom schwankt – mal ist viel davon im Netz, mal wenig. Schnittstellentechnologien seien daher in Zukunft nötig. Beispielsweise können Elektrodenkessel überschüssigen Ökostrom in Wärme umwandeln, mit der Gebäude geheizt werden können. „Das machen wir bereits heute an der Uni und verbinden damit die Sektoren Wärme und Elektrizität“, sagt Bayer.
Ein weiterer Joker: grüner Wasserstoff. Das Gas lässt sich mithilfe von Ökostrom herstellen. „Das ist spannend, weil der Wasserstoff – ähnlich wie Strom – ein Treibstoff für die Verkehrswende werden kann. Und die Wärme, die bei der Produktion anfällt, kann wiederum in Fernwärmenetzen genutzt werden.“ Gerade die Wärme birgt Chancen in Bezug auf unsere Klimaziele. Denn nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) wird in Deutschland über die Hälfte der bezogenen Energie als Wärme eingesetzt – um Räume zu heizen, um Wasser zu erwärmen und als Prozesswärme für die Industrie. Über zwei Drittel dieser für die Wärme benötigte Energie stammt nach wie vor aus fossilen Quellen. „Hier schlummert ein riesiges Potential, wie wir unseren CO2-Ausstoß senken können. Betrachtet man Wärme, Elektrizität, Gas und Verkehr gemeinsam, wird der Hebel für den Klimaschutz noch größer“, betont Jürgen Bayer.
Forschungsprojekt nimmt Bayreuth unter die Lupe
Heben möchte diesen Schatz ein vom Bundeswirtschaftsministerium mit 1,85 Millionen Euro gefördertes Forschungsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen (FAU), das vor allem Bayreuth unter die Lupe nehmen wird. Unter dem Projektnamen „ESM-Regio“ – kurz für „Mehrsektorale gekoppelte Energiesystemmodellierung auf regionaler Ebene“ – wollen die Forscher ein zeitlich hochaufgelöstes Energiesystemmodell in der Größenordnung von Landkreisen erstellen. Projektkoordinator Prof. Reinhard German, Inhaber des Lehrstuhls für Rechnernetze und Kommunikationssysteme und Zweitprofessor an der Monash University in Melbourne, Australien: „Die Forschungsförderung ermöglicht es uns, ein neuartiges Simulationsmodell zu erstellen, das die übergreifende Steuerung und Optimierung der vier wichtigsten Sektoren des Energiesystems abbildet und dadurch signifikante Einsparpotentiale ermitteln kann. Es freut mich besonders, dass neben starken wissenschaftlichen Partnern mit den Stadtwerken Bayreuth, der Energieagentur Nordbayern und Bayern Innovativ sehr relevante Industriepartner beteiligt sind und damit der Realitätsbezug gesichert ist. Dies ist auch eine hervorragende Grundlage, die Ergebnisse auf andere Regionen zu übertragen.“
Stromnetz muss ausgebaut werden
„Für uns ist diese Zusammenarbeit Neuland“, sagt Stadtwerke-Chef Jürgen Bayer. „Selbstverständlich begleiten wir den Wandel unseres Energiesystems ohnehin intensiv und passen unsere Planungen immer wieder an. Nur ein Beispiel: Uns ist schon heute klar, dass wir unser Stromnetz ausbauen müssen, wenn alle Bayreuther auf E-Autos umsteigen und diese abends gegen 18 Uhr gleichzeitig laden wollen. Das Modell der Wissenschaftler wird uns aber deutlich klarer sehen lassen, als unsere Prognosen das leisten können.“ In den kommenden drei Jahren, die für das Forschungsprojekt veranschlagt sind, wartet auf die Stadtwerke Bayreuth viel Arbeit. Abertausende Datensätze muss das Projekt-Team definieren und auswerten. Bei den Stadtwerken wird sich eine Ingenieurin in dieser Zeit ausschließlich darum kümmern.
Bayer geht davon aus, dass sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen schnell konkrete Projekte für Bayreuth ableiten lassen: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Knotenpunkte in unseren Netzen finden, die sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit ausbauen lassen. Und ich bin mir sehr sicher, dass schon bald auch andere Betreiber von Energienetzen hellhörig werden. Das Bayreuther Modell wird sich auf zahlreiche andere Netze übertragen lassen. Wir gehen davon aus, dass der gesamtgesellschaftliche Nutzen von ESM Regio groß sein wird.“
Steckbrief ESM-Regio
Das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt ESM-Regio hat eine Laufzeit von drei Jahren und ein Volumen von rund 1,85 Millionen Euro. Es wird koordiniert vom Lehrstuhl für Informatik 7 der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen (FAU). Als wissenschaftliche Partner beteiligt sind vonseiten der FAU der Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik (EVT), der Lehrstuhl für Wirtschaftsmathematik (EDOM) und die Juniorprofessur für Energieinformatik (EINF) sowie das Institut für Hochspannungstechnik, Energiesystem- und Anlagediagnose der Hochschule Coburg (IHEA). Industrielle Partner sind die Energieagentur Nordbayern, Nürnberg und Kulmbach (EAN), die Stadtwerke Bayreuth als regionales Energieversorgungsunternehmen sowie der Cluster Energietechnik der Bayern Innovativ GmbH.
Quelle: Stadtwerke Bayreuth